Samoa ist ein kleiner, unabhängiger Inselstaat in Polynesien und hat etwa 200.000 Einwohner. Am 7. September 2009 um 6.00 Uhr morgens wurde in Samoa der bestehende Rechtsverkehr auf links gedreht. Damit sich alle Einwohner, die einen Führerschein haben, an das Linksfahren gewöhnen konnten, gab es zwei Feiertage und ein vorübergehendes Alkoholverbot.
In Bolivien hingegen wird seit jeher rechts gefahren, allerdings gibt es einige gefährliche Bergstraßen, auf denen lokale Verkehrsregeln den Linksverkehr vorschreiben. Der Grund dafür ist die Sicherheit, denn so können einerseits die bergauf-fahrenden Fahrzeuge auf der dem Berg zugewandten Seite fahren und andererseits haben die bergab-fahrenden Fahrzeuge das Steuer direkt am Straßenrand, um so den Abstand zum Abhang besser einsehen zu können.
Die heutigen Versuche mit autonom fahrenden Autos machen den Eindruck, als wolle man im Linksverkehr einige Testfahrzeuge rechts fahren lassen, um zu sehen, ob ein Rechtsverkehr möglich wäre. Dabei kann man sich eigentlich gut vorstellen, dass Fahrzeuge schon heute völlig autonom fahren könnten, wenn sie miteinander vernetzt und unter sich sind. Doch autonome Testwagen inmitten des täglichen Pendlerverkehrs mit nahezu unvorhersehbaren Einwirkungen von außen erscheinen uns eher wie Geisterfahrer.
Die Frage ist nicht wann es soweit ist,
sondern was für Auswirkungen es haben wird
Fakt ist: Autonom fahrende Fahrzeuge werden kommen. Und vielleicht, aber nur ganz vielleicht wird der Übergang wie die Verkehrsumstellung in Samoa erfolgen. Zu einem Stichtag spielt man ein Update in sein Fahrzeug ein und darf dann nicht mehr selber ans Steuer. Es wird kein Chaos geben, denn man wird das Fahrzeug nicht mehr selbst steuern können. Doch gegen das Chaos in unseren Köpfen gibt es wie in Samoa zwei Feiertage, um sich daran zu gewöhnen, nicht mehr selber zu fahren. Die Sache mit dem Alkoholverbot kann man sich natürlich sparen, denn nun darf sich jeder auch alkoholisiert in sein selbstfahrendes Auto setzen.
Auch sonst würde sich einiges ändern, wenn sämtliche Autos autonom fahren. Man steigt morgens ein und liest die ersten Nachrichten auf dem Weg ins Büro. Dort angekommen macht das Auto kehrt, denn erstens gibt es keinen Parkplatz und zweitens muss das Kind zur Schule gebracht werden. Danach holt das Fahrzeug Pakete und Einkäufe ab. Anschließend sammelt der Wagen das Kind an der Schule wieder ein und bringt es zum Sport oder Musikunterricht.
Versicherungstarife, die günstiger sind, wenn nur Angehörige oder Menschen über 30 das Fahrzeug bewegen gibt es nicht mehr, denn Fahrer verursachen keine Unfälle mehr. Also kann auch der Nachbar das Auto nutzen, wenn dieses gerade Zeit hat. Autobesitzer können Ihr Fahrzeug problemlos auch Fremden als Taxi zur Verfügung stellen. Die meisten Singlehaushalte brauchen deshalb kein Auto mehr. Das ist für die Autobesitzer besonders dann lohnenswert, wenn man in der Stadt zum Shoppen unterwegs ist: Statt einen teuren Parkplatz zu belegen macht das Fahrzeug ein paar bezahlte Fahrten für zahlende Kunden und steht dann dem Besitzer wieder zur Rückfahrt bereit.
Leben in der Stadt oder auf dem Land? Egal!
Das Gefälle zwischen Leben in der Stadt und auf dem Land ebnet sich. Einerseits ziehen mehr Leute wieder aufs Land, weil die Pendelzeit als Arbeits- oder Freizeit angesehen wird und weil man auch nach mehreren Gläsern Bier bequem nach Hause kommt. Da in den Innenstädten kaum mehr Parkplätze benötigt werden, steht hier viel mehr Raum zur Verfügung. Aus Parkstreifen werden Grünstreifen oder Radwege, aus Parkhäusern werden Wohn- und Geschäftshäuser. Miet- und Immobilienpreise in der Stadt sinken aufgrund des größeren Raumangebots und der geringeren Nachfrage.
Der Verkehr wird von Algorithmen gesteuert, die auch den Nachfolger der KFZ-Steuer berechnen: Eine Art Mobilitäts-Lizenz ersetzt die herkömliche Steuer. Es ist nicht mehr das Auto, für das man Steuern zahlt, sondern die zurückgelegte Strecke und die dafür benötigte Zeit. Wer es eilig hat, kann extra zahlen und kommt schneller voran, wer es langsamer angehen lässt und öfter im Stau steht zahlt dementsprechend weniger.
Zukunftsmusik
Dieses Gedankenspiel ist natürlich rein spekulativ, aber es zeigt, welche Veränderungen mit einem solchen Umbruch einhergehen könnten. Natürlich wird diese Umstellung auch nicht wie in Samoa in zwei Tagen von statten gehen. Die Umstellung von Links- auf Rechtsverkehr war in Österreich beispielsweise besonders kompliziert. Hier gab es über viele Jahre verschiedene Links- und Rechtsfahrzonen. Der 1915 eingeführte Linksverkehr stieß beispielsweise in Vorarlberg auf großen Widerstand in der Bevölkerung und wurde dort 1921 wieder aufgehoben. Vorarlberg war damals nur durch zwei Passstraßen mit dem Rest des Landes verbunden.
Auch Professor Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen sieht einen möglichst schnellen Übergang als gangbare Alternative zu einem langsamen Prozess. Als erste Zone für ausschließlich autonom fahrende Fahrzeuge schlägt er die HafenCity in Hamburg vor:
In Hamburg wird gerade der zweite Abschnitt der HafenCity gebaut, das ist ein komplett neuer Stadtteil auf einer brachliegenden Fläche. Also ideale Bedingungen, um die Infrastruktur mit Ampeln, Schildern und Markierungen exakt aufs autonome Fahren abzustimmen. So könnte man den Alltag mit Robotaxis direkt im Quartier testen. Hamburg wäre Vorreiter und hätte ein Leuchtturmprojekt.
Und wer weiß, vielleicht wird es immer noch vereinzelte Strecken geben, auf denen nur manuell gesteuerte Fahrzeuge unterwegs sind, wie beim Linksverkehr auf den Bergstraßen in Bolivien. Auch dies wären dann wahrscheinlich die gefährlicheren Strecken. Der Nürburgring zum Beispiel.
Titelbild:
Aerial Photo of Four Cars on round about at Daytime von Brennan Tolman, free for personal and commercial use, no attribution required.